: Bern Reichenbachstrasse : Neue Gräber aus dem Latènezeitlichen Oppidum. . Bern 2014 : Rub Media, ISBN 978-3-907663-37-0 195 S.

: Die Funde aus La Tène im Bernischen Historischen Museum. . Bern 2013 : Stämpfli Verlag, ISBN 978-3-9523269-8-5 112 S.

Rezensiert für infoclio.ch und H-Soz-Kult von:
Walter Thut

Die jüngere Eisenzeit (5. – 1. Jh. v. Chr.), auch La-Tène-Zeit genannt, ist zusammen mit der anschliessenden römischen Periode eine zwar bekannte, aber noch nicht genügend gut erforschte historische Epoche. Auf der Engehalbinsel (entgegen der Aarehalbinsel, wo die Zähringer später die mittelalterliche Stadt gründeten) begann sich vor über 2200 Jahren eine Siedlung mit Wohn- und Wirtschaftsbereichen (in der Fachsprache Oppidum genannt) zu entwickeln, bevor gut drei Jahrhunderte später der römische Vicus Brenodurum an gleicher Stelle die keltische Kultur ablöste. 1999 wurde an der Reichenbachstrasse 87 in Bern ein Bauvorhaben in Angriff genommen, das die Archäologen mobilisierte. Schliesslich rettete man dort 36 teils an Beigaben reiche Körpergräber. Ein interdisziplinäres Team hob den Schatz und erstellte eine interessante Publikation dazu. Eine etwas aufwändigere Sicherung der erhaltenen Strukturen hatte sich auch darum aufgedrängt, weil Bern-Reichenbachstrasse nach Lausanne- Vidy (30 Gräber, 1989/90) erst der zweite Ort auf dem Gebiet der Schweiz ist, wo in jüngerer Zeit ein grösseres keltisches Gräberfeld ans Tageslicht gebracht wurde.

Interessant sind bereits die Gräber, die im Detail beschrieben und abgebildet werden. Thematisch schliesst sich den Kapiteln 2 und 3 das Kapitel 7 (Grabritus und Bestattungssitten) und das Kapitel 8 (Das gesamte Gräberfeld an der Reichenbachstrasse) an. Reicher für die Sinne sind hingegen die Grabbeigaben. Von 55 Fibeln sind sieben aus Bronze und von verschiedenem Typ. Alle übrigen Fibeln sind aus Eisen und nur drei Typen zuzuordnen. Hübsch anzusehen sind auch die Armringe aus farbigem Glas, Hohlblech (Eisen), glatt oder als Spirale gedreht, Fingerringe, Ringperlen, Anhänger oder ein Kettchen. Zu diesen Objekten gibt es vergleichbare Stücke in anderen Regionen der Schweiz. Die Grabbeigaben haben auch zur Chronologie der Funde beigetragen, bei der man sich auf die Jahre 160 bis 125 vor Christus geeinigt hat. Die zwanzig Keramikfunde aus verschiedenen Gräbern umfassen einige schön dekorierte Stücke. Leider geben auch sie das Geheimnis, was die Gefässe zur Zeit der Grablegung beinhaltet hatten, nicht preis. Die meisten Stücke sind wohl lokaler Provenienz, unter ihnen vermutet man allerdings auch seltenere, importierte Ware.

Vierzehn antike Münzen und eine aus der Neuzeit wurden bei den Ausgrabungen zutage gefördert. Bis auf den Berner Kreuzer und eine Münze als Massilia sind sie alle keltischer Herkunft. In vier von sechs Gräbern fanden sich die Münzen im Mund der Bestatteten. Interessant sind verschiedene Münzen, die man bis anhin nur seit einem Fund vom Grossen St. Bernhard, einem Fund aus Lausanne-Vidy und später einem Fund aus Sion kannte. Dieser Typ Münze, heute Bern-Enge genannt, trägt auf der einen Seite einen stilisierten Kopf und auf der anderen Seite einen Stern mit sechs Hauptstrahlen und kleineren Strahlen und Kugeln an den Enden der Hauptstrahlen. Münzen hatten in keltischer Zeit mehr eine soziale Funktion, als dass sie Zahlungsmittel bei wirtschaftlichen Transaktionen waren. In Mitteleuropa sind derzeit erst zwei weitere Funde solcher Münzen als Grabbeigaben bekannt.

Von Interesse sind auch die Textilien und die übrigen organischen Reste (Holz, Haut und Knochen von Menschen und Tieren). Die schwierig zu bergenden Textilien, schwierig, weil fortgeschritten oxidiert und darum rasch zerfallen, waren alle aus Wolle mittelfeiner Qualität. Auch sie sind vergleichbar mit bereits bekannten Funden. Die Tierknochen aus der Grabung Reichenbachstrasse stellen Schlacht- oder Speiseabfälle dar. Es sind 150 Knochen im Gesamtgewicht von 730 Gramm. Unter allen bestimmbaren Knochen stammt die Hälfte vom Hausschwein, ein Drittel vom Hausrind und der Rest von Schafen und Ziegen. Knochen in drei Gräbern waren wohl Grabbeigaben, die übrigen sind eher zufällig (wohl beim Zuschütten der Gräber) zu den menschlichen Knochen zu liegen gekommen.

Die Analyse Letzterer im Kapitel 5 stammt aus der Feder der Anthropologin Susi Ulrich-Bochsler. Das Fazit ihrer Untersuchungen war, dass die dort beerdigten Menschen, einmal abgesehen von der Kindersterblichkeit, keine allzu schlechten Lebensbedingungen hatten, dass die Abrasivspuren an den Zähnen allerdings den Schluss nötig machten, die Nahrung der «Urberner(innen)» sei eine konsistenzhaltige und harte gewesen.

Die Publikation bestätigt im Wesentlichen den Wissensstand, bereichert aber gleichwohl das Bild über die Kelten in Bern. Das Buch präsentiert sich in der soliden Art, wie wir es vom Archäologischen Dienst in den vergangenen Jahren gewohnt waren: Kurze Kapitel, gut illustriert mit Zeichnungen und Fotos, Diagrammen und Karten, Zusammenfassungen, Literaturliste und Katalog.

Die Geschichte der Funde aus La Tène selbst, die der Epoche den Namen gegeben haben, ist im 11. Band der Schriften des Bernischen Historischen Museums dargestellt. Die Entdeckung einer stattlichen Anzahl von Schwertern und Schwertscheiden, Lanzenspitzen, Haken, Ringen, Koppeln, Nabenringen, Trensen, Fibeln und diversen Werkzeugen und Geräten am Ausfluss der Zihl aus dem Neuenburgersee im Jahr 1857 war nach der Bergung des Massenfundes im Oppidum auf der Engehalbinsel in Bern 1849 und der Freilegung der neolithischen Siedlungsreste in Meilen (ZH) 1854 das dritte grosse Ereignis in der Erforschung der Geschichte der Kelten in der Schweiz. Viele Fundstücke wurden nach ihrer Bergung zu Handels- oder Tauschware und verteilten sich über viele Museen im In- und Ausland und gerieten auch in die Hände von Privatpersonen. 132 Stücke kamen vornehmlich durch die Initiative der Konservatoren Adolph von Morlot (vor 1867) und Edmund von Fellenberg sowie des Hauswarts und Sammlungskustos der Stadtbibliothek, Eduard von Jenner, erst in ihre Hände und schliesslich als Schenkung in die Sammlung der Altertümer in Bern (damals Antiquarium genannt). 1894 gingen sie an das Bernische Historische Museum über. Das Buch stellt den Umfang und die Umstände, wie die Sammlung entstanden ist, in Text und Bild dar.

Zitierweise:
Walter Thut: Rezension zu: Jud, Peter; Ulrich-Bochsler, Susi: Bern, Reichenbachstrasse. Neue Gräber aus dem latènezeitlichen Oppidum auf der Engehalbinsel. Bern: Rub Media 2014. Zuerst erschienen in: Berner Zeitschrift für Geschichte, Jg. 77 Nr. 1, 2015, S. 49-51.

Redaktion
Autor(en)
Beiträger
Zuerst veröffentlicht in

Berner Zeitschrift für Geschichte, Jg. 77 Nr. 1, 2015, S. 49-51.

Weitere Informationen
Klassifikation
Region(en)
Thema
Mehr zum Buch
Inhalte und Rezensionen